Rede zur Trauerfeier am 09.10.2010 – Pfarrer Armin Piepenbrink-Rademacher

Liebe Familie Thamm, liebe Freundinnen und Freunde, liebe Weggefährten und Vertraute, liebe Gemeinde in Trauer!

Wir sind zusammengekommen, tief traurig, erschüttert, nachdenklich, mit aufgewühlten Gefühlen, müssen Abschied nehmen, eine Realität hin nehmen, um die wir nicht herumkommen. Michaels Herz hat aufgehört zu schlagen, er lebt nicht mehr, seine so schwere Erkrankung war unheilbar, wie er selbst in seinem Tagebuch nach einem Arztgespräch notierte. Er wusste es, im Unterschied zu vielen seiner Bekannten, dass sein Lebensende bevorstand.

So traf viele unter Ihnen die Nachricht von seinem Tode völlig unvorbereitet. Sie sind fassungslos, es ist auch noch nicht wirklich zu begreifen, dass er nicht mehr so unter uns lebt, wie wir alle ihn erlebt und geschätzt haben – in unterschiedlicher Distanz und Nähe, in unterschiedlichen Rollen. Gestern Abend waren es über 250 Einträge in das digitale Kondolenzbuch, die wiederspiegeln, wie sehr er geliebt und geschätzt, wie wertvoll und geachtet er war bei so vielen Menschen, mit denen er in KONTAKT war. mit denen er verbunden war und bleibt.

Wir teilen gemeinsam die tiefe Trauer darüber, dass er nicht mehr unter uns ist und fühlen zugleich die besondere Bedeutung, die für uns der Kontakt zu Michael hatte und hat. Durch unsere so überaus zahlreiche Anwesenheit zeigen wir unsere Verbundenheit mit ihm, die über diesen Tag des Abschieds hinausgehen wird und wir möchten in der gemeinschaftlich vorbereiteten und gestalteten Feier, einen würdevollen Abschied ermöglichen und denken dabei an das, was Michael schätzte.

Ich stehe vor Ihnen als der Pastor der Altstädter Nicolaikirche hier in Bielefeld und Pfarrer für StadtKirchenArbeit, für die sich Michael neben zahlreichen anderen Projekten sehr verdienstvoll eingesetzt hat, aber mehr noch als Armin, einer unter vielen Bekannten und Freunden, mit denen er regelmäßig Kontakt pflegte. Und ich bin hier an seinem Sarge als Christ und habe die Aufgabe der Gestaltung dieser Feier angenommen.

Es sei vorab etwas – für mich ganz Selbstverständliches – gesagt. Wenn ich gleich aus einem Psalm der Bibel hier in der Friedhofskirche vorlese und in meiner Ansprache auch christliche Perspektiven zurückhaltend eintrage, so geschieht das stets in der Absicht, lediglich ein Angebot, ein Bild, eine Perspektive aufzuzeigen, ein Angebot, mit dem bitte ein jeder frei umgehe. Niemals soll etwas „übergestülpt“ werden oder gar irgend jemand religiös vereinnahmt werden.

Michael hatte eine ganz ungeheuer große Aufgeschlossenheit, ein unstillbares Interesse, eine im besten Sinne verstandene journalistische Neugierde, die in unserer Zusammenarbeit oft auch religiöse Fragen berührte. Er hat die Taufen und Konfirmationen von Ines und Melina mit großer innerer Beteiligung und Bejahung mitgetragen, ohne je wieder in enge institutionell – kirchliche Bezüge zurückzukehren. Wir haben uns seitensder StadtKirchenArbeit heute in einer Anzeige noch einmal öffentlich auch für diese Seite von Michaels Persönlichkeit und Engagement bedankt.

Ich lese nun einige Sätze aus dem 139. Psalm. Ein über 3000 Jahre altes Lied der Bibel, das Bilder enthält, die wie in einer Galerie (etwa im Studio) zum Betrachten und Besinnen einladen, vollkommen freilassend und nicht aufdrängend …

Aus Psalm 139
1 „HERR, du erforschst mich und kennst mich.
2 Ich sitze oder stehe auf, so weißt du es; du verstehst meine Gedanken von ferne.
3 Ich gehe oder liege, so bist du um mich und siehst alle meine Wege.
5 Von allen Seiten umgibst du mich und hältst deine Hand über mir.
6 Diese Erkenntnis ist mir zu wunderbar und zu hoch, ich kann sie nicht begreifen.
7 Wohin soll ich gehen vor deinem Geist, und wohin sollte ich gar fliehen vor deinem Angesicht?
8 Führe ich gen Himmel, so bist du da; bettete ich mich bei den Toten, siehe, so bist du auch da.
9 Nähme ich Flügel der Morgenröte und bliebe am äußersten Meer,
10 so würde auch dort deine Hand mich führen und deine Rechte mich halten.
11 Spräche ich: Finsternis möge mich decken und Nacht statt Licht um mich sein -,
12 so wäre auch Finsternis nicht finster bei dir, und die Nacht leuchtete wie der Tag. Finsternis ist wie das Licht.
17 Aber wie schwer sind für mich, Gott, deine Gedanken! Wie ist ihre Summe so groß!
18 Wollte ich sie zählen, so wären sie mehr als der Sand: Am Ende bin ich noch immer bei dir.
23 Erforsche mich, Gott, und erkenne mein Herz; prüfe mich und erkenne, wie ich’s meine.
24 Und sieh, ob ich auf bösem Wege bin, und leite mich auf ewigem Wege.

Überwältigend ist die Resonanz, die Michael in seinem Leben erfahren hat – und nun auch im Tod.

Wie viele Menschen berichten übereinstimmend von den Spuren die er, so wie er war, bei ihnen hinterlassen hat, wie prägend und einflussreich er war bei der Findung des eigenen beruflichen Werdegangs z.B., als anspruchsvoll- kritischer Coach, der die Aufgabe mit Präzision, ja ,mit dem Streben nach Perfektion betrieb. Durch seine warmherzige Menschlichkeit, durch seine Aufgeschlossenheit, durch seine Augen, durch seine Ausstrahlung, durch seine Haltung der Wertschätzung und der Offenheit, durch seine Hilfsbereitschaft und sein nimmermüdes Engagement, seinen Ideenreichtum, seinen Unternehmergeist, durch sein sympathisches Auftreten, seine ungeheure Praesenz, seine Zielstrebigkeit, seine … – ich breche hier ab. Wir könnten diese Liste unendlich fortschreiben.

Wie großartig ist es, dass uns alle s o v i e l e positive Erinnerungen erfüllen, wenn wir an Michael denken. Wie er stets dem Menschen, mit dem er es zu tun hatte, seine ganze Aufmerksamkeit schenkte – als Chef, als Journalist, als Freund, Partner oder Weggefährte, Michael eben – Michael hatte so viele Seiten, die hier gar nicht alle aufgezählt werden können. Wir sind ihm in unterschiedlicher Intensität zu unterschiedlicher Zeit begegnet, in beruflichen oder privaten Bezügen, Ulrike mit Ines und Melina, die mit ihm neun Jahre wie in einer Familie zusammen lebten und wohnten, die Kinder haben ihn wie einen zweiten Vater geschätzt, und sie sind ihm bleibend in Liebe verbunden, Kateri als Partnerin, die ihn bei seinem Aufenthalt in Ghana kennen- und lieben lernte und mit ihm ein intensives Jahr verbrachte und ihm in seiner Auszeit auf dem Weg zu noch mehr Leichtigkeit begegnete. Beide, Ulrike und Kateri waren, gemeinsam mit Felicitas, einer seiner drei Geschwister, bis zuletzt bei ihm, schenkten ihm die Nähe, die er brauchte und die ihn ganz gewiss gestärkt hat.

Dazu Carsten mit der Band Alea, die ihm im Krankenzimmer spielte, was für Geschenke gegenseitig! – Uli, der mit seinem wunderbaren Saxofon heute für ihn spielt, mit einer langen Geschichte der Freundschaft zwischen beiden und viele, viele Ungenannte, die Michael in seiner gewinnenden und zugleich prägenden Persönlichkeit so geschätzt haben.

Seine Geschwister haben Michael charakterisiert: je älter Michael wurde, umso mehr habe sich seine soziale Entwicklung gesteigert, er war der älteste von 4 Geschwistern und zunächst ganz schön dominant im Viererverbund, entwickelte dann aber, so seine Geschwister, mehr und mehr einen Beschützerinstinkt. Während er sich früher Zeit für intensiven Sport nahm, beim Schwimmen (DLRG) und Basketball, war eine seiner größten Leidenschaften das lesen, lesen, lesen.

Früh schon zog es ihn in die Öffentlichkeit, sein Weg in den späteren Beruf schien da schon vorgezeichnet: als Schulsprecher, als Leiter der Jungkolpinggruppe. Zu nennen ist seine Liebe zur Musik, er genoss auch eine Gesangsausbildung, die Geschwister sagen: Michael war Rhythmus, so haben sie ihn erlebt, erst war es das Schlagzeug, dann das Lenkrad seines Autos und so mancher Tisch, der sein Faible für Rhythmus zu spüren bekam. Soul, Rock, Diskotheken mit Blackmusic, starke Stimmen, das war eine seiner weiteren Leidenschaften

Bevor er im Sabbatjahr, zum Ende seines Lebens, dem Privaten deutlich mehr Raum gab, war er stets im Beruf „abrufbereit“, da konnte ein Handyanruf ihn schnell herausnehmen aus familiären Zusammenhängen. Dann wurde nicht selten der private Michael vermisst, der ja auch bevorzugt an Heiligabend Dienste im Sender übernahm.

„Michael hatte immer viele Bälle in der Luft, die er oben halten wollte, er hatte eine gewisse Rastlosigkeit“ sagt sein Schwager Uwe. Ja, er wollte effektiv sein, die Zeit nutzen, wollte helfen und half – effektiv und wirkungsvoll, gab Anregungen und wurde immer mehr zu einem Netzwerker, nicht nur in seiner beruflichen Arbeit, sondern auch in der Familie. Als großer Bruder sorgte er mit für einen Zusammenhalt in der Familie. Er organisierte Familientreffen mit Cousins und Cousinen in Wernigerode, in der ehemaligen DDR, machte sich häufiger auf nach Langenburg, ging gerne die alten Wege, z.B. rund ums Schloß in Langenburg, jene Wege, die auch die Eltern bald täglich gehen und gingen.

Das Sabbatjahr war der Beginn einer neueren Entwicklung zu mehr Privatheit, vielleicht auch Lockerheit, zu einer anderen Prioritätensetzung. Dass ihm nur diese kurze Zeit vergönnt sein würde, hat niemand geahnt, es ist so bitter, dass diese neue Entwicklung nicht noch eine viel längere Ausdehnung hat erfahren dürfen.

Michael würde wohl sagen, „Leute, das Leben geht weiter. Es ist jetzt so, wie es ist.“ Können wir das in Gedanken von ihm so annehmen? Es ist sehr schwer. Aber es wäre ganz und gar in seinem Sinne.

Sie haben mir einen Text zum Verlesen gegeben, der sie sehr angesprochen hat. Ein Text, der helfen will, weiterzumachen. Er bringt symbolisch im Bild von der Straße in der Nachbarschaft die NÄHE zum Ausdruck und die Verbundenheit, die viele von uns zu Michael noch intensiv spüren, obwohl er in der Nacht des 3. Oktobers zu atmen aufgehört hat.

Ich lese auf Ihren Wunsch hin diesen Text von Henry Scott Holland:
„der Tod hat keine Bedeutung – ich bin nur nach nebenan gegangen. Ich bleibe, wer ich bin, auch ihr bleibt dieselben zusammen. Was wir einander bedeuteten, bleibt bestehen. Nennt mich bei meinem vertrauten Namen. Sprecht in der gewohnten Weise mit mir und verändert euren Tonfall nicht! Hüllt Euch nicht in Mäntel aus Schweigen und Kummer – Lacht wie immer über die kleinen Scherze, die wir teilten. Wenn ihr von mir sprecht, so tut es ohne Reue und Traurigkeit. Leben bedeutet immer nur Leben – es bleibt so bestehen – immer – ohne Unterbrechung. Ihr seht mich nicht, aber in Gedanken bin ich bei euch – irgendwo ganz in der Nähe – nur ein paar Straßen weiter.“

Viele haben von der Reise gesprochen, die nun Michael ins Unbekannte, in die Ewigkeit an unbestimmten Ort unternommen habe.

Ich möchte, als Christ, sagen, was ich gemeinsam mit sehr Vielen, die dies ebenfalls als Halt haben, glaube; – wiederum nur als Angebot einer Sichtweise und Glaubenshaltung:
Unsere begrenzte Lebenszeit sehen wir umfangen von Gottes Ewigkeit. Unsere Zeit steht in Gottes Händen. Gott ruft uns, unsere Seele zu sich in die Ewigkeit, in seine Nähe, voller Licht, Liebe – und in einen Frieden, den nur er zu schenken vermag.
Und – im Bild gesprochen – er hält unsere Seele in seinen Händen, wir dürfen uns geborgen wissen in seiner Nähe und in seiner Gegenwart
… wie es schon im 139. Psalm heißt:
8 Führe ich gen Himmel, so bist du da; bettete ich mich bei den Toten, siehe, so bist du auch da.
9 Nähme ich Flügel der Morgenröte und bliebe am äußersten Meer,
10 so würde auch dort deine Hand mich führen und deine Rechte mich halten.
Eine solche Reise führt, so glaube ich fest, stets in Gottes wärmende Nähe auch nach einem für unser Empfinden viel zu frühen, irgendwie ungerechten Tod.

Michael war ganz und gar Realist, mit durchaus auch religiöser Aufgeschlossenheit. Er sagte zu seinem Freund Carsten, gewissermaßen auf Nachfrage: „Das Verständnis der christlichen Nächstenliebe verbunden mit dem buddhistischen Verständnis der Gewaltlosigkeit, das entspricht meiner inneren Vorstellung.“

Wir alle werden es schaffen müssen, zu akzeptieren, dass wir Abschied nehmen müssen und uns hier leider nicht mehr wiedersehen können. Aber wir können seine Seele Gottes Händen anvertrauen und wir können und dürfen unsere Erinnerungen pflegen und aus ihnen heraus Kraft und Perspektive schöpfen für unseren eigenen weiteren Weg in unserem ebenfalls begrenzten Leben.
Amen

Ich spreche das Vaterunser und, wer mag, spricht es mit … im Anschluss daran haben wir eine Zeit der Stille für ganz eigene, persönliche Gedanken und Gefühle, für Anliegen in Richtung zu Michael, oder auch als Gebet zu Gott oder einfach nur als Stille.

Pfarrer Armin Piepenbrink-Rademacher

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